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Seit 2015 ist es in aller Munde...

In diesem Beitrag möchten wir sie mitnehmen in die Welt der Sozialpsychologie. Wir wollen verstehen, warum andere ausgegrenzt werden, ob Vorurteile tatsächlich nur am rechten Rand zu finden sind und herausfinden, wie die deutsche Bevölkerung über die aktuellen Entwicklungen denkt.


© D. Simon / Marrakesch, Marokko

Seit 2015 ist es in aller Munde. Deutschland das Einwanderungsland, das es nicht sein möchte, es doch ist und sich manchmal selbst nicht einig ist. Neben verschiedensten ökonomischen und politisch-strukturellen diskutierten Aspekten geht die Angst um. Vor den Anderen, den Fremden, der Übervölkerung des Eigenen. Wie es der Zufall so möchte, haben wir drei Begründer dieses Blogs alle einen Migrationshintergrund, so wie mittlerweile jeder vierte Deutsche. Wir sind also selbst Zugewanderte oder ihre direkten Nachkommen.


Was erwartet die deutsche Bevölkerung von Eingewanderten? Ist die Pflege der eigenen kulturellen Identität und das in Beziehung-Gehen mit der fremden Gruppe gewollt? Um diese zwei Dimensionen zu erfassen, greifen wir auf das Akkulturationsmodell nach Berry (1997) zurück.


Akkulturationsmodell nach Berry (1997)

Diese drei hier gezeigten Möglichkeiten sind die, welche auch in der Realität die größte Rolle spielen. Die Marginalisation, also eine völlige Individuation, kann außer Acht gelassen werden. In der Integration werden die eigenen kulturellen Charakteristika gepflegt bei gleichzeitiger Beziehung zu der Mehrheitsbevölkerung. Bei der Assimilation wird sich um eine Angleichung an die Einwanderungsgesellschaft bemüht. Bei der Separation bleiben die Eingewanderten mit ihrer Kultur unter sich. Welches Modell wünschen sich die Deutschen und welches die Eingewanderten? Eine großangelegte Studie konnte zuletzt zeigen, dass ein Großteil der Deutschen die Assimilation, also eine einseitige Anpassung wünscht. Für die Eingewanderten unterscheidet sich die bevorzugte Form nach der Gruppe. So präferieren z.B. Spät-Aussiedler aus der ehemaligen UdSSR die Assimilation.


Im Jahr 2016 gab es einen Rückgang der zunächst aufgekommen Willkommenskultur auf 27% in der Bevölkerung. Die Ablehnung stieg wieder an. Neuste Analysen stimmen hoffnungsvoll, denn 38% der Bevölkerung spricht sich wieder für eine Zunahme der Willkommenskultur aus und auch die Ablehnung dieser war rückläufig. Schlägt sich dies nun auch positiv im Verhalten nieder? Führt dies zu tatsächlicher Akzeptanz anderer Gruppen?


Eine großangelegte europäische Studie hat zuletzt gezeigt, dass vielen Fremdgruppen mit Ablehnung begegnet wird und diese Ablehnung in den letzten Jahren zugenommen hat (ZuGleich Studie). Auch Menschen mit eigenem Migrations-hintergrund sprechen sich immer weniger für eine Willkommenskultur aus. Es scheint eine Angleichung mit der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund stattzufinden.


Lehrer, Ärzte und andere Behandler tragen auch zur Aufrechterhaltung der Stigmatisierung bei, indem sie sich ihrer eigenen Vorurteile entsprechend verhalten.

Diese Ablehnung fußt auf Vorurteilen, die eine Gruppe von einer anderen Gruppe hat. Vorurteile sind uns nicht immer bewusst, sie sind jedoch in jedem implizit vorhanden. Sie prägen soziale Normen und damit unseren Blick auf „das Normale“. So werden sie Basis für Handlungen, begünstigen Diskriminierung und Ausgrenzungen. Die davon Betroffenen erleben Einschränkungen im physischen und psychischen Wohlbefinden, was sich wiederum auf die erfolgreiche Lebensgestaltung auswirkt. Vorurteile führen zu Stigmatisierung, auch zu einer Selbststigmatisierung und können zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Man verhält sich also entsprechend der Vorurteile und entgeht damit der durch diese ausgelösten Bedrohung. Lehrer, Ärzte und andere Behandler tragen auch zur Aufrechterhaltung der Stigmatisierung bei, indem sie sich ihrer eigenen Vorurteile entsprechend verhalten. So bekommen Kinder mit bestimmten Vornamen im Schnitt schlechtere Noten und Menschen mit bestimmten Nachnamen geringere medizinische Versorgung. So haben Rosenthal & Jakobsen 1968 gezeigt, dass die Erwartung der Lehrer einen großen Einfluss auf die Leistung der Schüler hat. Menschen mit Übergewicht (Miller et al. 2014) oder anderer Herkunft werden ebenso Opfer unserer impliziten, automatischen Urteile (Chol Yoo et al. 2009).


Doch wie bilden sich Vorurteile in uns? Ein wichtiger zugrunde liegender Prozess ist die soziale Kategorisierung, die wir alle vornehmen. Eine Strategie, die uns eine schnelle spontane und damit ressourcenschonende Einordnung ermöglicht. Sie kann als eine Heuristik verstanden werden, die uns z.T. mehr Informationen bereitstellt. Durch das Zurückgreifen auf vorhandene „Schublanden“ also Stereotype erleichtert sie auch unser Leben (Macrae, Bodenhausen, Milne, & Jetten, 1994). Unser Gehirn hilft uns, so die Komplexität der Welt zu reduzieren. Es kommt dann zu einer Übergeneralisierung und zu einer Homogenisierung einer fremden Gruppe in unseren Annahmen (Linville and Jones, 1980). Wenn dies eingetreten ist und sich mentale Repräsentationen dieser Stereotype gebildet haben, erfolgt eine automatische Anwendung dieser auf Mitglieder der geformten Gruppe. Informationen, die diese Annahmen bestätigen, werden zudem besser erinnert und sind leichter abrufbar. Wir machen uns im wahrsten Sinne des Wortes die Welt, wie sie uns gefällt. Die Informationen werden also an unsere Annahmen angepasst und nicht etwa umgekehrt (Fyock & Stangor, 1994).


Eine Abwertung einer fremden Gruppe, der Out-Group, führt zu einer unweigerlichen Aufwertung der eigenen In-Group und somit zu einer Aufwertung der eigenen sozialen Identität (Aboud, 2003). Evolutionär lässt sich dies gut verstehen. Eine fremde Gruppe stellte immer eine potentielle Bedrohung dar, gegen die es sich zu schützen und zu verteidigen galt. Auch heute noch haben wir diese starke Tendenz, vor der niemand gefeit ist. Henri Tejfel hat mit seinen Kollegen schon 1971 in noch heute wichtigen Studien gezeigt, dass wir unsere eigene Gruppe, auch wenn diese zufällig zusammengestellt wurde, favorisieren.

Reduzieren sich die Vorurteile einer Gruppe gegenüber, geht auch die Abwertung anderer Gruppen zurück.

Doch Hoffnung naht, denn Stereotype und die Bedrohung durch diese sind veränderbar. Die Vorurteilsforschung hat schon lange gezeigt, dass wenig Kontakt mit fremden Gruppen zu mehr Vorurteilen führt. Dies kann auch gut mit dem Mere-Exposure Effekt erklärt werden. Je häufiger ich Kontakt mit etwas oder jemandem habe, umso positiver fällt mein Urteil aus. Denken Sie nur an das neue Lied ihrer Lieblingsband, welches ihnen zu Beginn nicht gefällt. Dann aber nach mehrmaligem Hören zu einem Ohrwurm wird. Vorurteile sind selten eng auf eine Gruppe umgrenzt, sondern mit anderen Vorurteilen verknüpft. Dies gilt jedoch auch anders herum. Reduzieren sich die Vorurteile einer Gruppe gegenüber, geht auch die Abwertung anderer Gruppen zurück. Als bedeutende Faktoren von Gruppenfeindlichkeit haben sich neben genereller autoritärer Haltung auch das Gefühl von Bedrohung durch „die Fremden“, das Gefühl von Orientierungslosigkeit und Benachteiligung herausgestellt. Auch ein geringer sozio-ökonomischer Status korreliert mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.


Was lässt sich dagegen tun? Als wichtig haben sich gemeinsame übergeordnete Ziele und der Aufbau von persönlichen Beziehungen herausgestellt. Im Idealfall sind diese Intergruppenkontakte von Autoritäten gewollt und gefördert, denn dann wirken diese noch effektiver gegen Feindseligkeiten. Das Unbekannte und damit Bedrohliche erleben viele im Kontakt mit psychisch Erkrankten, besonders stark ausgeprägt sind hier Diskriminierung von z.B. Psychose-Erfahrenen. Um dem entgegenzuwirken ist, ein Kennenlernen von Betroffenen, wie es im Trialog oder in Vereinen wie Irre-Menschlich geschieht, ein wichtiger Beitrag zum Abbau von Ablehnung und Ausgrenzung.


Sich der eigenen Vorurteile bewusst werden, ist ein erster Schritt zu einer Aufweichung dieser. Wenn sie selbst einmal ihre Vorurteile auf den Prüfstand stellen wollen, um Veränderung möglich zu machen, schauen Sie doch mal auf der Homepage der Universität Harvard vorbei.


Quellen

  1. Berry, J. W. (1997). Immigration, acculturation, and adaptation. Applied psychology, 46(1), 5-34.

  2. Steele, C. M., & Aronson, J. (1995). Stereotype threat and the intellectual test performance of African Americans. Journal of personality and social psychology, 69(5), 797.

  3. Tajfel, H., Billig, M., Bundy, R., & Flament, C. (1971). Social categorization and intergroup behavior. European Journal of Social Psychology, 1, 149–178.

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