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Ich höre was, was du nicht hörst – Wenn die Stimme im Kopf nicht „ deine“ ist

Mit diesem Beitrag betrachten wir das Phänomen des Stimmenhörens und stellen einen neuartigen psychotherapeutischen Ansatz zum Umgang mit dem Hören belastender Stimmen vor - Relating Therapy. Viel Spaß beim Lesen!


Illustration: Projekt RELATE

„Wir werden dir alles nehmen.“ „Du bist nichts wert.“ „Du wirst das jetzt machen!“

Viele haben schon einmal erlebt von anderen beschimpft, drangsaliert oder gemobbt zu werden. Schlimm genug, wenn dies durch jemanden geschieht, dem wir in die Augen sehen können. Doch manche Menschen hören so eine Stimme, ohne dass jemand da ist, dem sie die Stimme zu ordnen können. Eine Flucht scheint unmöglich.


In Deutschland hören 3-5% der Menschen Stimmen (auch Phoneme genannt). Häufig tritt dies im Rahmen einer psychotischen Erfahrung auf, wie dies beispielweise bei der Schizophrenie der Fall ist. Was für den Menschen Stimmenhören bedeutet, kann jedoch sehr unterschiedlich aussehen. Manche Stimmen sind beleidigend und abwertend, manche kommentieren alles, was getan wird oder geben Befehle, Dinge zu tun oder zu lassen. Das kann große Angst machen, einschüchtern oder zum Verzweifeln bringen.


Manche Menschen hören Stimmen, die sie als positiv oder bereichernd wahrnehmen, die auch in der Einsamkeit eine Unterstützung sind. Wenn das Leben dann als glücklich und zufriedenstellend erlebt wird, braucht es keine Behandlung.

Für die meisten Menschen ist das Hören der Stimmen jedoch eine Belastung. Das Leben so zu leben, wie man es sich wünscht, scheint unerreichbar. Manchmal kommt es zu einem starken sozialen Rückzug. Allein sich aus der Wohnung zu trauen, ist ein Kraftakt. So übernehmen die Stimmen die Regie über Möglichkeiten und Grenzen des eigenen Handels.


Es gibt verschiedene Möglichkeiten das Hören von belastenden Stimmen zu behandeln, die sich auch gut ergänzen können. Meistens wird mit Medikamenten behandelt, die aber leider oft auch mit Nebenwirkungen einhergehen und die Stimmen nicht immer in Schach halten können. Eine weitere wirksame Möglichkeit ist die Psychotherapie. Diese hat sich in verschiedenen Studien als sehr hilfreich bei psychotischen Erkrankungen erwiesen.


Ein psychotherapeutischer Ansatz auf die Belastung durch Stimmen zu reagieren, ist die „Relating Therapy“. Gemeinsam erkunden die Stimmenhörenden und die Therapeut:in zunächst die Stimmen und die Reaktion beim Hören dieser. Ganz ähnlich, wie die meisten Menschen es auch gegenüber anderen Personen tun würden, die sie beleidigen, rumkommandieren usw. reagieren Stimmenhörende auf belastende Stimmen häufig unterwürfig oder aggressiv. Dies kann als natürlicher Schutzmechanismus verstanden werden, wir kämpfen oder fliehen vor einer als bedrohlich erlebten Situation. Oft wird der Umgang mit den Stimmen dadurch aber noch belastender, eigene Bedürfnisse geraten ins Hintertreffen. In der Relating Therapy wird gemeinsam ein alternativer, selbstsicherer Umgang mit den Stimmen entwickelt und schließlich in Rollenspielen eingeübt.


Im Rahmen einer, an der Uni Hamburg entwickelten Studie, wird Relating Therapy gerade in Hamburg, Bremen und Leipzig angeboten. Einer der Teilnehmenden ist Martin (aus Datenschutzgründen wird nur der Vorname verwendet). Im Interview mit seiner Behandlerin berichtet er von seiner Erfahrung mit den Stimmen und der Relating Therapy:


Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Hören von Stimmen gemacht?

Meine Erfahrungen sind vor allen Dingen deswegen belastend, weil die Aussagen der Stimmen sich ständig wiederholen, manchmal stundenlang. Es ist gar nicht einmal so schlimm, was die Stimmen sagen. Vielmehr die Quantität und der Tonfall, der meistens sehr hysterisch ist. Ich neige dann dazu, die hysterischen Stimmen als gefährlich zu bewerten.

Was hilft im Umgang mit den Stimmen und der Belastung? Früher war das Einzige, was half das Herunterfahren jeglicher Aktivität. Über einen Zeitraum von ca. 8 Wochen kamen die Stimmen immer häufiger vor und wurden gleichzeitig immer panischer, bis bei mir schließlich auch der sonst so erholsame Schlaf entfiel. Dann war ich gezwungen, mich krankschreiben zu lassen und ein bis zwei Tage fast gar nichts zu machen, bis es bei dem Stimmenhören wieder zu Pausen kam.

Durch die Relating Therapy ist es nun auch möglich die Stimmen durch ruhiges Auftreten und Antworten noch am selben Tag etwas zu beruhigen, so dass ich den 8 Wochen Rhythmus durchbrechen konnte und nun ohne andauernde Krankschreibungen meinen Tätigkeiten nachgehen kann.


Wie waren Ihre Erfahrungen mit Relating Therapy? Was haben Sie daraus mitgenommen?

Ich habe den Eindruck, dass mir die Relating Therapy sehr geholfen hat, zumindest in Bezug auf meine Belastbarkeit. Die Stimmen sind immer noch da und werden mich wohl auch nie ganz verlassen, aber ich habe jetzt mehr Situationen, in denen ich auch wieder Kraft schöpfen kann, um den Alltag besser zu bewältigen.

Ich fand es hilfreich, dass sich in der Therapie die Zeit genommen wird die Umstände, sowie die Aussagen der Stimmen genau zu analysieren. Diese sehr genaue Herangehensweise hatte bei mir zufolge, dass ich vieles, was ich vorher als sehr belastend empfand, neu bewerte und dadurch bei vielen Einzelheiten meines Stimmenhörens, diese als nicht mehr ganz so schlimm erlebe.

Ich empfand die gesamte Therapie als gelungen. Auch gerade die Rollenspiele, welche ich, in der Form, zum ersten Mal erlebte. Durch das intensive Üben, den Stimmen in ruhiger und respektvoller Art und Weise zu begegnen, wurde das, was ich normalerweise von den Stimmen höre, von mir als nicht mehr ganz so verletzend, nicht mehr ganz so anstrengend bewertet.


Gab es etwas was Ihnen nicht so gut gefallen hat?

Manchmal ist es schwer Verhaltensweisen immer und immer wieder zu üben, damit man alte Verhaltensmuster aufbricht. Man neigt dazu sich wie ein Automat zu fühlen, der immer den gleichen Satz sagt. Aber, auch wenn das manchmal anstrengend und vielleicht frustrierend ist, bin ich mittlerweile der Überzeugung, dass es ohne diese ständigen Übungen nicht möglich ist, sein Verhalten zum Besseren zu verändern.

Für viele Menschen sind Rollenspiele ungewohnt, viele sind da erstmal skeptisch. Ging es Ihnen auch so? Gibt es etwas, dass Sie anderen sagen möchten, um ihnen Mut in Bezug auf Rollenspiele zu machen?

Ich bin der Meinung, dass es gerade am Anfang der Therapie, für einen Stimmenhörer sehr schwer ist, überhaupt sein Erleben genau für sich selbst zu analysieren und mitzuteilen. Stimmenhören ist, zumindest für mich, eine sehr auslaugende Erfahrung.

Durch die Rollenspiele war es mir möglich zu erkennen, wie viel Herzblut und Ausdauer ich in das Gespräch mit meinen Stimmen - über die Jahre - investiert habe. Diese Unterhaltungen in den Rollenspielen mal als real gesprochenes Wort zu erleben, empfand ich als hilfreich. Die Stimmen auch einfach einmal zu ignorieren, bzw. eine Unterhaltung auch einfach einmal zu beenden, wenn man seinen Standpunkt da gelegt hat. Und darin auch Zufriedenheit zu finden.

Auch kann man durch die Rollenspiele den selbstbewussten und ruhigen Umgang mit den Stimmen gut üben, da Stimmenhörer, die diese als belastend empfinden, oft auch sehr aufgebracht sind. Für mich haben die Rollenspiele vieles in ein neues Licht gerückt.


Würden Sie Psychotherapie anderen Betroffenen weiterempfehlen und wenn ja warum?

Ich höre seit 1997 Stimmen. Ich habe sehr viele Behandlungsangebote wahrgenommen, von Selbsthilfegruppen über Psychosegruppen mit professioneller Betreuung bis hin zu Behandlungsformen wie Cogpack usw. Richtige gesundheitliche Fortschritte kamen für mich erst, als ich in einer Einzeltherapie wirklich meinen speziellen Fall aufarbeiten konnte. Schizophrene Psychosen gleichen sich in vielen Dingen, aber um als Betroffener Fortschritte zu machen, benötigte ich wirklich einen Gesprächspartner, der sich die Zeit nahm, mein Erleben gründlich zu analysieren.

Aus eigener Erfahrung kann ich Betroffenen nur raten Einzeltherapie zu versuchen. Man muss aber den Willen mitbringen, wirklich bereit dazu zu sein, an sich zu arbeiten. Erfolge stellen sich meistens nicht sofort ein, aber sie kommen, wenn man am Ball bleibt.

Gerade die Relating Therapie ist für belastendes Hören von Stimmen ein guter Wegweiser den „Wahnsinn“ etwas friedvoller zu machen.


Die Studie zur Relating Therapy sucht weiterhin Teilnehmende. Mehr Informationen dazu gibt es hier.


Plakat RELATE
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Dieser Artikel wurde unter Mitwirkung der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Dipl.-Psych. Tanja Lincoln "Klinische Psychologie und Psychotherapie" insbesondere Samya Korff geschrieben.





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